Die Idee zur Ortlerbesteigung hatte ich mit Andi schon länger "ausgebrütet". Irgendwie hatte es uns der Berg angetan und so wurde tagelang geplant, recherchiert, diskutiert und geträumt. Die Vorfreude auf eine Tour solchen Ausmaßes war enorm. Nach den Erfahrungen an der Marmolada im Vorjahr gönnte ich mir auch endlich gescheite Steigeisen, die für eine Tour wie den Ortler unabdingbar sind. In Einklang damit waren auch absolut steigeisenfeste Bergschuhe kein Luxus, sondern einfach ein Plus an Sicherheit im Vergleich zu meinen bisher verwendete klettersteigtauglichen Bergschuhen, die aber eben nicht ideal für Steigeisen waren.

Die Terminwahl für die Ortlertour gestaltete sich etwas kompliziert, doch nach einigem Hin und Her stand Anfang September fest. Leider konnte Chris, der im Vorjahr bei der Marmolada dabei war, zu dem Zeitpunkt nicht und hatte nur die Option später für ein paar Tage nachzukommen, doch letztlich entschieden wir uns dafür einfach zu zweit loszuziehen und nach der Ortlertour dann ggf. noch ein paar Tage mit Chris zusammen Klettersteige in den Dolomiten zu machen. So oder so stand aber auch schon im Vorfeld fest, dass ich ein paar Tage solo unterwegs sein würde, denn ich hatte insgesamt 2 Wochen Urlaub, die ich auch in den Bergen nutzen wollte, während Andi maximal eine Woche Zeit hatte.

So bastelten Andi und ich daheim einen groben Tourenverlauf für die kollektiven Bergtage, ebenso überlegte ich mir mögliche Touren für die paar Tage, die ich alleine durch die Berge ziehen würde. Mit Andis Überredungskunst und unter Verwendung seines besten "Westalpen-Dialekts" gelang es tatsächlich ein Zimmer auf der Schaubachhütte zu reservieren, was mir zunächst verweigert wurde. Naja, ich klang wohl zu "touristisch" ... Egal, auf jeden Fall waren wir guter Dinge und motiviert, in der Ortlerregion "hoch hinaus" zu kommen.

Zur Akklimatisierung wollten wir zunächst von der Schaubachhütte zur Casatihütte und dann weiter zum Monte Cevedale oder - als besonders interessante Alternative - auf die Königspitze. Beide Gipfel schienen machbar bei guten Bedingungen, vor allem der Monte Cevedale war mehrfach als "Einsteigertour" beschrieben, auch wenn diese Kategorisierung natürlich relativ zu verstehen ist ... Nach dieser Eingewöhnung war dann der Wechsel rüber zur Payerhütte angedacht und der Auf- und Abstieg über den Ortler-Normalweg. Der Hintergrat schien uns nach allem, was wir an Infos sammeln konnten, eine Nummer zu groß. Da ich selbst noch nie "richtig" klettern war, sondern "nur" ausgiebig Klettersteigerfahrung gesammelt hatte, schien es vermessen einen Aufstieg über den Hintergrat mit Schlüsselstellen im III. bis IV. Grat bei Schnee und Eis zu wagen. Dazu sollte man doch eine eingespielte Seilschaft sein und solche Schwierigkeitsgrade "blind" beherrschen, um kein zu großes Absturzrisiko einzugehen ...

Nun ja, so ging es also am Samstag den 30.08. voller Vorfreude los gen Sulden, wo wir uns am Nachmittag trafen und loszogen zu einer erlebnisreichen Bergtour in der Ortlerregion. Es sollte eine sehr interessante und abwechslungsreiche Tour werden, die ich sicher nicht so schnell vergessen werde ...

Reschensee mit Piz Lad   Der alte Kirchturm im Reschensee   Der Ortler rückt näher ...

1. Tag: Sulden - Wanderweg 1 - Schaubachhütte
Stats: 1:55 h (15.15 - 17.10) - +660/-10 hm
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Aufstieg zur Schaubachhütte Blick übers Suldental zum Stiereckkamm

Schaubachhütte mit Monte Zebru und Ortler Tourenplanung am Abend :-)


2. Tag: Schaubachhütte - 1. Versuch Suldenferner Richtung Eisseepaß - Schaubachhütte - 2. Versuch Suldenferner Richtung Eisseepaß - Schaubachhütte - nähe Madritschhütte - Schaubachhütte
Stats: 4:20 h (06.35 -17.15) - +640/-640 hm
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Ooops, es ist noch ziemlich dunkel beim Aufbruch Richtung Eisseepaß ... Wieder zurück: Der erste Versuch zur Casatihütte endete im Schneetreiben ... Der zweite Versuch zum Eisseepaß: Andi im Neuschnee vor der Schaubachhütte

Der zweite Versuch: Der frisch verschneite  Suldenferner mit zahlreichen Spalten ...   Noch ein Foto vor der Spalte, dann ging's wetterbedingt wieder zurück zur Schaubachhütte ...   Später am Tag wurde das Wetter besser: Monte Zebru und Ortler thronen beeindrucken dort hoch oben

Imposante Gletscherzunge bei der Schaubachhütte   Ausblick in der Nähe der Madritschhütte zur Suldenspitze   Der Hintergrat zum Ortler: Für uns (noch) "no way" ...


3. Tag:
Teil 1
Schaubachhütte - Skipiste - Sulden
Stats: 1:05 h (07.30 - 08.35) - +10/-660 hm
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3. Tag:
Teil 2
Sulden - Weg 7 - Weg 4 - Weg 4a - Tabarettahütte - Bärenkopfscharte - Payerhütte
Stats: 5:55 h (09.40 - 15.35) - +1190/-80 hm



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Schöner Wanderweg Richtung Tabarettahütte Das Suldental, die kleine Tabarettahütte und der Rest in Wolken ...

Andi mit Stilfser Joch beim Bärenjoch
Gleich an der Payerhütte ...  


4. Tag:
Teil 1
Payerhütte - kurz vor Tschierfeck-Wand beim Ortleraufstieg - Payerhütte
Stats: 3:55 h (06.40 - 10.35) - +140/-140 hm

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Ich vor dem Aufbruch zum Ortler ...   Andi vor dem Aufbruch zum Ortler ...   Herrliche Morgenstimmung an der Payerhütte bei -5°C ...

Kraxelei Richtung Tschierfeck-Wand ...
Weiter Richtung Tschierfeck-Wand ... Riesige Eispanzer, schroffe Felsen: Einfach beeindruckend!

Bei den eisigen Bedingungen waren gute Tritte und Haltepunkte überlebenswichtig ... Es kam noch heftiger: Einfach nur ganz, ganz gut festhalten ...
Irgendwo in der Nähe der Tschierfeck-Wand: Der kleine blaue Punkt am Abgrund bin ich ...

Das Lachen kehrt bei mir zurück: Nach der Entscheidung zur Umkehr war ich zunächst ziemlich neben mir ...
Das Wetter wurde immer besser, der Ortlergipfel zeigte sich ... Das letzte flachere Stück zurück zur Payerhütte: Die für mich zum Teil nervenaufreibenden Klettereinlagen waren heil überstanden ...

Schönes Panorama mit Payerhütte und Bärenkopf, am Horizont die Ötztaler Alpen

Tolle Aussicht von der Payerhütte übers Suldental zur Vertainspitze und anderen Gipfeln

4. Tag:
Teil 2
Payerhütte - Bärenkopfscharte - Tabarettahütte - Weg 4a - Weg 9 - Weg 3 - Weg 7 - Sulden
Stats: 4:50 h (11.50 - 16.40) - +120/-1220 hm

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Keine weichen Knie mehr: Klettern bei der Payerhütte, am Horizont die Weisskugel in den Ötztaler Alpen   Wehmütiger Blick zurück zum Ortlergipfel: Jetzt oben auf dem Gletscher wäre ein Traum ... Schade!   Monte Cevedale, rechts oben der Ortlergipfel ... Dieses Mal hat es nicht sollen sein ... Vielleicht 2004?!?

Der Monte Cevedale, der uns aufgrund des miesen Wetters zwei Tage zuvor leider auch vergönnt war ... Netter Weg am Bärenkopf beim Abstieg
Der Ortlergipfel hinter uns: Was hätte ich für ein Drahtseil gegeben dort oben im Eis und Schnee ...

Super Blick übers Suldental zur Vertainspitze und den Nebengipfeln
Andi beim Abstieg zur Tabarettahütte: Im Hintergrund wieder mal die Weisskugel (vielleicht 2004?!?)
Gesund und munter an der Tabarettahütte: Noch mal ein wehmütiger Blick zu König Ortler  ...

Die Vertainspitze beim Abstieg ins Suldental Rastplatz beim Abstieg: Auch ohne Ortlergipfel war die Tour eine interessante Erfahrung

Da Andi später am Tag heimfahren wollte, zog ich für den Folgetag eine Besteigung der Vertainspitze in Betracht
Wegsperrung beim Abstieg ins Suldental: Der Bach war nicht passierbar, also noch mal etliche Meter zurück und dann auf Umwegen runter ...

4. Tag:
Teil 3
Sulden - Bergstation Kanzellift - Weg 12 - Düsseldorfer Hütte
Stats: 2:25 h (17.50 - 20.15) - +850/-60 hm

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Die steil aufragende Königspitze beim Aufstieg zur Düsseldorfer Hütte Das Dreigestirn Königspitze, Monte Zebru und Ortler
Noch eine knappe Stunde bis zur Düsseldorfer Hütte, langsam mußte ich mich beeilen ...


5. Tag: Düsseldorfer Hütte - Hohe Angelusspitze (über Reinstadler-Route) - Düsseldorfer Hütte - Zaytal - Weg 16 - Sulden
Stats: 9:05 h (07.25 - 16.30) - +870/-1680 hm



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Der Ortler am Morgen von der Düsseldorfer Hütte aus   Da die Bedingungen für eine "Free-Solo-Besteigung" der Vertainspitze nicht gut waren, machte ich mich zur Hohen Angelusspitze auf   Kurze Pause: Ab hier ging es über den Gletscher zur Hohen Angelusspitze

Auf der Hohen Angelusspitze: Erste leichte Solo-Gletschertour gepackt und dann noch so eine tolle Aussicht!
Tiefblick von 3521 m: Auf der Hohen Angelusspitze Blick von der Hohen Angelusspitze auf den Laaser Ferner und die Schildspitze

Der Gipfelgrat von der Hohen Angelusspitze, die zwei holländischen Bergkameraden sind schon beim Abstieg
Hohe Angelusspitze: Nach dem Abbruch der Ortlerbesteigung am Vortag war diese Tour gut "fürs Ego"
Immer der Spur bergab folgend, mit hoher Konzentration auf meine Tritte mit den Steigeisen, ging es von der Hohen Angelusspitze runter

Die Gletscherpassage erfolgreich gemeistert, ab da ging's wieder in kombiniertem Gelände über die Reinstadler-Route bergab
Bergkontraste: Die gegenüber liegende Tschenglser Hochwand war mit knapp 3400 m so gut wie schneefrei ...
Schöner Blick zurück zur Hohen Angelusspitze: Die Reinstadler-Route geht durch diese große Felswand bis oben an den Fuß des Gletschers

Kurz vor der Düsseldorfer Hütte gab's noch mal eine kleine Rast
Die Hohe Angelusspitze: "Da bin ich also gerade rauf und runter ..."

Abstieg durch das idyllische Zaytal mit Königspitze zum Greifen nahe
Abstieg zurück nach Sulden: Der Zaybach und hoch oben schon recht weit entfernt die Düsseldorfer Hütte


Bilanz: etwa +4500 hm in 5 Tagen (30.08. - 04.09.2003) absolviert
Stats: pro Tag durchschnittlich etwa +900 hm

Trotz bzw. auch wegen des Rekordsommers lief die Tour in der Ortlerregion etwas anders als zunächst geplant. Von der Königspitze etwa wurde aufgrund der Schnee- und Eiskonsistenz nach wochenlanger Hitze von den Hüttenwirten abgeraten, selbst die Bergführer waren einige Wochen lang nicht mehr dort oben, wie wir vor Ort erfuhren. Noch am Anreisetag kam Neuschnee herunter und die generelle Wetterlage kippte ins Unbeständige, so dass die zur Eingewöhnung geplante Tour Richtung Eisseepaß und weiter zum Rifugio Casati und zum Monte Cevedale nicht durchgezogen werden konnte. Die Bedingungen ließen es einfach nicht zu ...

Dennoch entschieden wir uns nach zwei Tagen kollektiv zur Payerhütte aufzusteigen, um bei gutem Wetter doch den Versuch über den Normalweg zum Ortlergipfel zu wagen. Der Wetterbericht "orakelte", dass es langsam wieder besser werden könnte. Was den Himmel anging, meinte es das Wetter am Tag, der für den Ortlergipfel vorgesehen war, dann auch gut mit uns, jedoch war über Nacht noch ein bisschen Schnee gefallen und die Temperaturen waren morgens bei -5°C. Folglich war der gesamte Aufstieg ab der Payerhütte mit einer ordentlichen Eisschicht überzogen, was natürlich keine idealen Bedingungen darstellte ...

So verließen wir fast planmäßig gegen 6:30 die spiegelglatte Terrasse der Payerhütte. Langsam und behutsam kraxelten wir immer weiter, doch kurz vor der Tschierfeck-Wand äußerte ich den Wunsch zur Rückkehr, da ich mich bei den Bedingungen einfach unsicher fühlte und nicht zu viel riskieren wollte. Es machte einfach keinen Sinn mehr für mich ... Sicher tat es mir unendlich leid, dass wir ausgerechnet meinetwegen umkehrten, doch es ging einfach nicht. Mein Kopf redete mir ein, dass es zu gefährlich sei weiter zu kraxeln, und wenn dann die Knie erst mal weich sind, geht einfach nichts mehr. Andi akzeptierte die Entscheidung und baute mich beim Abstieg so gut es ging moralisch auf, denn ich stand doch ziemlich neben mir und kämpfte um Fassung und Konzentration ... Eine Abseilaktion gab es dann auch noch, die zwar sicher nicht nötig gewesen wäre bei normalen Bedingungen, aber so unsicher wie ich mich fühlte war ich dankbar über die Option des Abseilens. Nichts wäre "peinlicher" gewesen als mit dem Seil im Rucksack abzustürzen ... Nach noch ein paar heiklen Kletterstellen ohne Seilsicherung und gutem Zureden von Andi war dann die Payerhütte gegen 10:30 wieder erreicht, wo uns die Hüttenwirtin schon erwartete. Sie war eher verwundert, dass wir solange unterwegs gewesen waren bei den harten Bedingungen ...

Froh und glücklich, alles heil überstanden zu haben, stiegen wir dann wenig später ab ins Tal. Die gute Laune kehrte wieder zurück und ich konnte auch wieder lachen. Dass nicht immer alles nach Plan laufen kann und dass Theorie und Praxis zum Teil einfach zwei Dinge sind, war eine Erfahrung für mich aus diesen Tagen am Ortler ... Man sollte nichts Erzwingen beim Bergsteigen. Unter dem Motto werden wir sicher zu nächster Gelegenheit einen weiteren Versuch unternehmen, um den Gipfel zu erreichen.

Nachdem Andi dann noch am selben Tag heimfuhr, marschierte ich zu fortgeschrittener Zeit noch zur Düsseldorfer Hütte. Von dort gab es am Folgetag die Besteigung der 3521 m hohen Hohen Angelusspitze (inkl. Gletscherpassage und Klettern im I.-II. Grad) , die ein bisschen als "Bestätigung" für mich selbst herhalten mußte nach der gescheiterten Ortlerbesteigung. Eine tolle Tour bei guten Bedingungen - und schon war die Enttäuschung vom Vortag wieder weitestgehend in den Hintergrund geraten.

Nach gesunder Rückkehr in Sulden machte ich mich schließlich auf den Weg, um noch ein paar Klettersteige in den Dolomiten anzugehen.