Trotz bzw. auch wegen des Rekordsommers lief die Tour in der
Ortlerregion etwas anders als zunächst geplant. Von der Königspitze
etwa wurde aufgrund der Schnee- und Eiskonsistenz nach wochenlanger
Hitze von den Hüttenwirten abgeraten, selbst die Bergführer
waren einige Wochen lang nicht mehr dort oben, wie wir vor Ort
erfuhren. Noch am Anreisetag kam Neuschnee herunter und die generelle
Wetterlage kippte ins Unbeständige, so dass die zur Eingewöhnung
geplante Tour Richtung Eisseepaß und weiter zum Rifugio
Casati und zum Monte Cevedale nicht durchgezogen werden konnte.
Die Bedingungen ließen es einfach nicht zu ...
Dennoch entschieden wir uns nach zwei Tagen kollektiv zur Payerhütte
aufzusteigen, um bei gutem Wetter doch den Versuch über den
Normalweg zum Ortlergipfel zu wagen. Der Wetterbericht "orakelte",
dass es langsam wieder besser werden könnte. Was den Himmel
anging, meinte es das Wetter am Tag, der für den Ortlergipfel
vorgesehen war, dann auch gut mit uns, jedoch war über Nacht
noch ein bisschen Schnee gefallen und die Temperaturen waren morgens
bei -5°C. Folglich war der gesamte Aufstieg ab der Payerhütte
mit einer ordentlichen Eisschicht überzogen, was natürlich
keine idealen Bedingungen darstellte ...
So verließen wir fast planmäßig gegen 6:30 die
spiegelglatte Terrasse der Payerhütte. Langsam und behutsam
kraxelten wir immer weiter, doch kurz vor der Tschierfeck-Wand
äußerte ich den Wunsch zur Rückkehr, da ich mich
bei den Bedingungen einfach unsicher fühlte und nicht zu
viel riskieren wollte. Es machte einfach keinen Sinn mehr für
mich ... Sicher tat es mir unendlich leid, dass wir ausgerechnet
meinetwegen umkehrten, doch es ging einfach nicht. Mein Kopf redete
mir ein, dass es zu gefährlich sei weiter zu kraxeln, und
wenn dann die Knie erst mal weich sind, geht einfach nichts mehr.
Andi akzeptierte die Entscheidung und baute mich beim Abstieg
so gut es ging moralisch auf, denn ich stand doch ziemlich neben
mir und kämpfte um Fassung und Konzentration ... Eine Abseilaktion
gab es dann auch noch, die zwar sicher nicht nötig gewesen
wäre bei normalen Bedingungen, aber so unsicher wie ich mich
fühlte war ich dankbar über die Option des Abseilens.
Nichts wäre "peinlicher" gewesen als mit dem Seil
im Rucksack abzustürzen ... Nach noch ein paar heiklen Kletterstellen
ohne Seilsicherung und gutem Zureden von Andi war dann die Payerhütte
gegen 10:30 wieder erreicht, wo uns die Hüttenwirtin schon
erwartete. Sie war eher verwundert, dass wir solange unterwegs
gewesen waren bei den harten Bedingungen ...
Froh und glücklich, alles heil überstanden zu haben,
stiegen wir dann wenig später ab ins Tal. Die gute Laune
kehrte wieder zurück und ich konnte auch wieder lachen. Dass
nicht immer alles nach Plan laufen kann und dass Theorie und Praxis
zum Teil einfach zwei Dinge sind, war eine Erfahrung für
mich aus diesen Tagen am Ortler ... Man sollte nichts Erzwingen
beim Bergsteigen. Unter dem Motto werden wir sicher zu nächster
Gelegenheit einen weiteren Versuch unternehmen, um den Gipfel
zu erreichen.
Nachdem Andi dann noch am selben Tag heimfuhr, marschierte ich
zu fortgeschrittener Zeit noch zur Düsseldorfer Hütte.
Von dort gab es am Folgetag die Besteigung der 3521 m hohen Hohen
Angelusspitze (inkl. Gletscherpassage und Klettern im I.-II. Grad)
, die ein bisschen als "Bestätigung" für mich
selbst herhalten mußte nach der gescheiterten Ortlerbesteigung.
Eine tolle Tour bei guten Bedingungen - und schon war die Enttäuschung
vom Vortag wieder weitestgehend in den Hintergrund geraten.
Nach gesunder Rückkehr in Sulden machte ich mich schließlich
auf den Weg, um noch ein paar Klettersteige in den Dolomiten
anzugehen.
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