Nachdem ich bei der Skitour im Stubai auf den Geschmack gekommen war überlegte ich nicht lange, als mich Alex, ein Arbeitskollege aus Regensburg, fragte, ob ich nicht spontan mit ihm eine Skitour machen wollte. Gegen ihn war ich zwar quasi Novize in Sachen Bergsport, da er viele Jahre mehr und auch auf höherem Level als ich durch die Berge zog, aber ich sah es als Chance auch etwas zu lernen. Und da wir uns auch menschlich super verstanden, war ich sehr gerne dabei und freute mich sehr über die Einladung zur Tour. Wohin es genau gehen sollte, stand noch nicht zu 100% fest, als ich dann bei ihm früh morgens in Freising ankam. Er hatte mir noch am Vortag per Email ein paar Links zu ein paar interessanten Touren geschickt, doch entschieden war noch nichts. Wir plauderten beim Frühstück ein wenig und er schlug die Ortler-Berge vor. Natürlich kannte ich dort auch schon einige Gipfel, aber er wollte als Haupttour auf die Königsspitze, die ich bisher noch nicht angegangen war. Die Eckdaten zur Tour klangen für mich okay, wenngleich ich wusste, dass es für mich eine grosse Herausforderung werden würde, da ich eine vergleichbare Tour bisher nicht gemacht hatte. Und Königsspitze, das war schon ein Name für mich ... Nach ein paar Telefonaten stand fest, dass wir in der Schaubachhütte nur im Vorraum schlafen könnten, da die Hütte wenige Tage zuvor die Wintersaison beendet hatte. Somit mussten also auch Isomatte und Schlafsack mit, die bei mir dummerweise nur für den Sommer ausgelegt waren, aber mit allen Klamotten würde ich die Nacht schon überstehen. Kocher und ein paar Sachen zu futtern hatte Alex dabei und somit konnten wir uns dann selbst verpflegen. Ich war gespannt, sowas hatte ich bisher noch nie gemacht ... Als Übernachtungsmöglichkeit nach der Königsspitze blieb dann die Pizzini-Hütte oder die Casati-Hütte, die beide noch bewirtet waren. Wir liessen es aber zunächst offen. Für den Tag darauf hatte Alex noch den Monte Cevedale eingeplant, der technisch ein gutes Stück leichter als die Königsspitze ist und bei guten Gletscherbedingungen auch für Skitouren-Anfänger mit der nötigen Vorsicht im Spaltenbereich recht gut machbar ist. So ging es dann am späten Nachmittag in Sulden an der Talstation der Seilbahn los gen Schaubachhütte und zu einer Bergtour, die ich sicher nicht mehr vergessen werde ... |
1. Tag: | Sulden - Schaubachhütte |
Stats: | 2:15 h (17.15 - 19.30) - +660/-0 hm |
Beim Aufstieg zur Schaubachhütte schickte mich Alex gleich noch ein paar steile Hänge hinauf zum Spitzkehrentraining, damit ich für den Folgetag gerüstet war. Er wusste ja auch, dass ich zwar bergerfahren war, aber bisher nur eine Skitour gemacht hatte, doch er traute mir die angedachte Tour auf jeden Fall zu. Ich war überrascht, dass ich es so gut hinbekam, wobei mir Alex' 1,20 m Ski auch das Leben leichter machten als die 1,60 m Tourenski, die ich im Stubai an meinen Füssen hatte. An der Schaubachhütte haben wir uns dann ein provisorisches Nachtlager auf der Gummimatte des Vorraumes errichtet. Mit dem Kocher haben wir uns ein paar Kleinigkeiten zubereitet und noch ein Schlummerbier zu uns genommen, doch bei mir hat letzteres die Wirkung leider verfehlt. Ich habe den Grossteil der Nacht vor mich hingebibbert, da es mit meinem Sommerschlafsack alles andere als dauerhaft warm war und ich innerlich auch ziemlich aufgeregt war aufgrund der anstehenden Tour. |
2. Tag: | Schaubachhütte - Ostrinne Königsspitze - Untere Schulter - Königsspitze Normalweg - Untere Schulter - Rif. Pizzini |
Stats: | 11:15 h (05.40 - 16.55) - +1340/-1240 hm |
An Schlaf war also nur sehr bedingt zu denken und als ich um 04:30 dann endlich aufstehen konnte, war es schon eine kleine Wohltat, sich wieder zu bewegen und vom kalten Fußboden weg zu kommen. Draussen war es noch ziemlich kalt und dunkel, so dass ich versuchte mich noch ein bissl aufzuwärmen, während wir ein kleines Frühstück zu uns nahmen. Zu 05:40 kamen wir dann los, wobei die Sonne recht schnell raus kam und die Ostrinne der Königsspitze schnell vom wärmenden Licht erfasst wurde. Schon beim Einstieg kamen uns ein paar Schneebrocken und teilweise leichter Stein-/Eisschlag entgegen, so dass man aufpassen musste. An der engsten Stelle der Rinne, die insgesamt im Schnitt gute 40 Grad Steigung aufweist, warteten wir dann auf einen günstigen Moment um schnell die etwas kritische Querung zu absolvieren. Aufgrund der immer höher stehenden Sonne wurde es zunehmend heisser, und ich merkte bald schon die alles andere als erholsame Nacht. Scheinbar war ich auch noch nicht richtig akklimatisiert. Ich kam nur sehr langsam voran und Alex schaute immer öfter nach mir. Bis dahin war ich recht gut mit dem steilen Gelände zurecht gekommen, hatte gar nicht gross darüber nachgedacht bei den zahlreichen Spitzkehren im exponierten Steilhang. Das Schwierigste an der Ostrinne schien hinter mir zu liegen, doch kurz vor dem flacheren Stück oberhalb der Unteren Schulter auf etwa 3400 m passierte es dann: Ich rutschte unverhofft mit dem talseitigen Ski weg und begann den Hang runterzurutschen. Da ich nur zu gut die Geländestruktur der Königsspitze kannte, war mir klar, dass ich sehr schnell handeln musste, wenn ich nicht immer schneller werden wollte und durch die seitliche Rinne über den Felsabsatz abstürzen wollte um irgendwo hunderte Meter tiefer liegen zu bleiben ... Mit den Skistöcken als Art Rettungsanker und durch Gewichtsverlagerung konnte ich mich temporär fangen, begann dann aber gleich weiter zu rutschen, da das Gelände so steil war. Mit aller Kraft rammte ich die Skistöcke ein ums andere Mal in den sulzigen Schnee und hielt mich so fest es ging daran fest, bis ich schließlich nach zahlreichen Versuchen erschöpft zum Stillstand kam. Es gelang mir einen kleinen Tritt für den talseitigen Ski zu machen und das Gewicht erneut zu verlagern, so dass ich die Skibindung öffnen konnte und dann mit dem Skischuh einen besseren Tritt schlagen konnte. Den zweiten Ski wurde ich auf die Art auch noch los und schließlich stand ich wieder halbwegs sicher im Steilhang. Immer noch den Schreck in den Gliedern, sah ich nun zu, dass ich sicher die paar Meter hinauf in die Spur zurück kam. Alex war nur wenige Meter vor mir gewesen und kam dann auch zu Hilfe, doch da alles so schnell ging, konnte er nicht direkt helfen. Zusammen absolvierten wir noch ein paar flachere Meter, bis sich ein Skidepot anbot. Ich war sichtlich geschafft nach diesem unfreiwilligen Zwischenfall, und auch so war ich körperlich an dem Tag nicht sonderlich gut drauf. Vermutlich lag es wirklich an der unsanften Nachtruhe bei mir, denn an sich hatten wir ja erst knappe 900 hm absolviert, und das war sonst nie ein Problem für mich gewesen. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und meiner körperlichen Verfassung stellte Alex dann die Frage in den Raum, ob ich mir noch die restlichen 400 hm zum Gipfel am exponierten Steilhang zutrauen würde oder ob ich den direkten Abstieg zur Pizzinihütte bevorzugen würde. So oder so nahmen wir von der Idee Abstand noch bis zur Casatihütte zu kommen, da dies noch mal gut 450 hm Gegenanstieg bedeutet hätte. Ich überlegte nicht allzu lange und sagte, dass ich noch weiter wolle zum Gipfel. Die Entscheidung fiel hauptsächlich in meinem Kopf, mein Körper sah die Sache definitiv anders. Doch ich war mir sicher, dass ich es nach oben und auch wieder runter schaffen würde. Alex fragte noch mal nach und ich bestätigte, dass ich es mir noch zutraute, und wenig später ging es dann auch schon los zum Gipfel. Ich habe die Ski dort gelassen und bin ohne Gepäck mit Steigeisen und Eispickel zum Gipfel, während Alex noch seinen gewichtsoptimierten Rucksack inklusive seiner Ski mitgenommen hat, um später vom Gipfelgrat abfahren zu können und damit wir oben eine Vesperpause machen konnten. Auf diesen letzten steilen 400 hm sollte man nicht (!) als Seilschaft unterwegs sein, denn im Falle eines Sturzes wird mit höchster Wahrscheinlichkeit die ganze Seilschaft mitgerissen. Hier muss jeder für sich zurecht kommen oder alternativ besser den Gipfel meiden, denn an diesem Gipfelhang sind schon einige Unglücke passiert. Wie in Trance habe ich mich Meter um Meter den steilen Hang hinaufgekämpft. So fertig wie in der Situation war ich bis dato noch nicht gewesen - und ich hoffe, ich bin es auch nie wieder bei irgendeiner Tour. Die immer dünner werdende Luft kostete mich immer mehr Kraft, und ich kämpfte ununterbrochen mit mir selbst. Mein Körper wollte alle paar Schritte eine Pause, doch die Zeit lief gegen uns und ich wusste, dass ich sehr langsam unterwegs war. Alex erinnerte mich auch regelmässig daran - und natürlich wusste ich, dass er recht hatte. Es half mir jedoch nur bedingt, denn ich konnte einfach nicht schneller. Mein Kopf sagte mir "weiter" , und so tat ich es dann auch. Ich wollte nicht so kurz vorm Ziel aufgeben. Das Wetter war ein Traum und nun umzukehren wäre mehr als schade gewesen. Ich konzentrierte mich also noch mal so gut es ging und erzeugte mir Tritt um Tritt bis endlich der noch steilere Gipfelgrat erreicht war. Dort angekommen wusste ich, dass ich es schaffen würde. Das Gipfelkreuz hatte ich schon kurz vorher gesehen und den scharfen Grat kannte ich aus der Fachliteratur. Nun hieß es "nur" noch die Nerven bewahren und behutsam zum höchsten Punkt zu stapfen. Fehler macht man dort oben in der Regel genau einmal, doch ich mobilisierte noch mal die letzten Energien und kam ausgelaugt wie nie, aber auch überglücklich zum Gipfel, an dem Alex mich in Empfang nahm und mich beglückwünschte. Es war ein sehr intensives Glücksgefühl nach all den Strapazen den kaum noch für möglich gehaltenen Gipfel erreicht zu haben. Das lässt sich kaum in Worte fassen ... Wir genossen noch einige Zeit den Gipfel, den wir die meiste Zeit für uns alleine hatten, und ich versuchte wieder zu Kräften zu kommen. Denn zum Aufstieg gehört ja auch der Abstieg ... Zurück zum Skidepot ging es recht gut, wenngleich ich auch gut aufpassen musste mir keine Fehltritte zu leisten. Alex schnallte wenig später die Ski an seine Füße und fuhr den anspruchsvollen Hang hinab zu unseren Sachen. Naja, ich war zufrieden mit mir, dass ich es ohne Ski vom Skidepot heil hinauf und wieder runter geschafft hatte. Wir machten noch eine kleine Rast, dann war auch für mich wieder Skifahren angesagt. Natürlich waren meine Beine sehr schwer, und ich kämpfte ganz schön. Die Hauptschwierigkeit bestand in der Abfahrt durch die Rinne an der Unteren Schulter, die ordentlich steil abfiel und keine besonders guten Schneeverhältnisse mehr zu so fortgeschrittener Stunde bot. Nicht halb so ästhetisch wie Alex, aber zumindest ohne nennenswerten Sturz, kam ich dann auch wieder in flacheres Gelände und genoss die letzten Höhenmeter hinab zur Pizzinihütte mit dem herrlichen Panorama auf die umliegenden Gletscherriesen. Dort liessen wir uns erst mal in der Wirtsstube nieder und genossen ein Radler und ein Stück Kuchen. Eine Wohltat! Die Anspannung wich nun langsam und das schöne Gefühl eine ganz besondere Tour geschafft zu haben gewann die Oberhand. Wir gönnten uns noch eine knappe Stunde Schlaf und dann ging's zum wohlverdienten Abendessen. Kurz darauf fielen wir beide hundemüde in unsere Betten und schlummerten tief und fest bis zum nächsten Morgen. |
3. Tag: | Rif. Pizzini - Monte Cevedale - Rif. Casati - Suldenspitze - Schaubachütte - Sulden |
Stats: | 8:35 h (05.35 - 14.10) - +1240/-2000 hm |
Am nächsten Morgen starteten wir auch wieder sehr früh, jedoch gönnten wir uns noch ein Frühstück mit den Resten aus unserem Rucksack und frischem Tee. Die Hüttenwirte hatten uns am Abend Teewasser in einer Thermoskanne in den Nebenraum gestellt, so dass wir flexibel waren. Super Service. Beim Aufstieg zum Monte Cevedale merkte ich dann schon, dass ich deutlich besser drauf war als am Vortag. Natürlich steckte mir die harte Tour noch in den Knochen, aber ich war konditionell besser drauf und kam auch schneller voran. Froh um diese Tatsache, dass wir nicht wieder unnötig viel Zeit wegen mir verlieren würden, kamen wir in ordentlichem Tempo immer weiter hinauf. Durch eine kleine Gletscherbruchzone und einen Steilhang kamen wir schliessliche auf den Normalweg von der Casatihütte und folgten dann den nunmehr deutlicheren Spuren Richtung Gipfel. Am letzten Steilhang war noch mal etwas Vorsicht gefragt, da es ein paar versteckte Spalten gab, aber dann war es auch schon geschafft und wir standen nach ca. 1050 hm Aufstieg zufrieden am Gipfel und genossen die tolle Aussicht. Es waren zwar schon mehr Leute unterwegs als am Tag zuvor, aber überlaufen war es immer noch nicht. Richtig schön! Nach ausgiebiger Rast machten wir uns dann an die Abfahrt zur Casatihütte. Alex konnte diese wieder voll geniessen, ich musste den schwindenden Kräften zunehmend Tribut zollen und fuhr ohne allzu viele Schwünge und mit ein paar Stopps zum Ausschütteln der müden Beine hinterher. Naja, es wärte auch zu verwunderlich gewesen, wenn ich den Vortag einfach so weggesteckt hätte, dann hätte ich die Welt nicht mehr verstanden ... An der Casatihütte lag Alex dann schon in der Sonne und entspannte sich ein wenig, ich legte mich auch noch ein paar Minuten dazu, musste aber aufpassen, da ich leider einen ordentlichen Sonnenbrand im Gesicht, an Ohren und Nacken bekommen hatte, so dass ich meine Haut vor der intensiven Frühlingssonne bedecken musste. Nach der Rast stand der kurze Aufstieg zur Suldenspitze an. Im August 2005 sind wir ja im dichten Nebel dort rumgeirrt, dieses Mal sollte es kein Problem sein den Gipfel und den Abstieg hinten runter zur Schaubachhütte zu finden. Die Abfahrt über den stellenweise recht zerklüfteten Gletscher war landschaftlich noch mal ein schöner Abschluß, wenngleich ich auch dort wieder mit meinen müden Beinen zu kämpfen hatte. An der Schaubachhütte sammelten wir dann unsere restliche Ausrüstung wie Schlafsack und Isomatte ein und genossen noch mal das Panorama zum Dreigestirn mit Königsspitze, Monte Zebru und Ortler. Die Abfahrt auf dem Fahrweg hinab nach Sulden verlief dann recht gut, das war schon fast wie Skifahren auf der Piste und kostete weniger Kraft. Ein kleiner Lawinenkeegel, der sich über den Weg erstrckte, musste noch etwas mühsam gequert werden, dann konnten wir es laufen lassen und fuhren bis kurz vor die Talstation ab. Dort unten war es schon recht frühlingshaft und richtig warm. Die letzten Meter absolvierten wir dann zu Fuß. Am Auto ließen wir die Tour noch mal Revue passieren und waren uns einig, dass wir drei einzigartige Skitourentage erlebt hatten. |
Bilanz: | etwa +3240 hm in 3 Tagen (02.05. - 04.05.2006) absolviert |
Stats: | pro Tag durchschnittlich etwa +1080 hm |
Die Skitour war mehr als beeindruckend gewesen und das Erreichen des Gipfelkreuzes der Königsspitze bei bestem Wetter war ein sehr emotionales Erlebnis nach dem hartem Aufstieg. Diese Tour wird schwer zu toppen sein, soviel steht schon mal fest. |